Geschlechterrollen leben in unseren Köpfen
Seit einigen Jahren, ja schon seit Jahrzehnten ist das Thema Gleichberechtigung und Auflösung der Trennung von Mann und Frau ein Thema, das unseren Alltag prägt. Aus Politik, Berufsleben, Privatleben und auch Linguistik sind Fragen zu Equal Pay, Vaterschaftsurlaub und die genderneutrale Ansprache nicht mehr wegzudenken.
Menschen setzen sich dafür ein, dass Mann und Frau gleich viel verdienen, die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und auch dass Barrieren in unseren Köpfen abgebaut werden.
Wie tief die Einordnung in die Kategorien Mann und Frau in unseren Köpfen verankert ist, zeigt die Ausgabe von Quarks.
Durch unsere Kultur und unsere Sozialisierung ist das Denken Mann/Frau und Junge/Mädchen stark in uns drin – so stark, dass wir uns unbewusst danach verhalten und nicht über unsere unterschiedliche Handlungen bewusst werden.
Eine Sache, die dieser Ausschnitt des Experiments deutlich zeigt: diese Menschen zückten ohne langes Nachdenken Spielzeug, dass zum vermeintlichen Geschlecht des Kindes passte. Dies zeigt uns durch die Marketing-Brille folgendes: Einige Menschen stehen anscheinend Spielzeug „für Mädchen“ und Spielzeug „für Jungen“ nicht negativ gegenüber, vielleicht sogar positiv.
Das Junge-Mädchen-Denken wird in Geschäften sichtbar
Ein Spaziergang durch hiesige Spielwarenregal scheint dies zu belegen. Die Spielwarenindustrie trennt oft klar nach Jungen und Mädchen mittels Codes. Diese Codes können Farben sein (rosa vs. blau), Ausdrücke mit Konnotationen (Pferdekoppel vs. Ritterburg), Bilder (ein Junge spielt vs. ein Mädchen spielt mit dem Spielzeug), Formen (bauchige vs. verjüngte Verpackungs- und Produktformen) und explizite Worte („für Jungs“ vs. „Girls“). Aber nicht nur die Spielwarenhersteller tun dies, es tun weit mehr Marken.
Viele Marken setzen auf die klare Ansprache eines Geschlechtes. Gekonnt macht dies seit vielen Jahren Axe. Axe steht für Produkte für Männer zum Anziehen von Frauen. Und Axe spricht nur Männer an. „Axe Women“ wäre zum Scheitern verurteilt.
Auf der Seite der Frauen sind es im Bereich der Kosmetik nicht anders aus. Auch hier ist bspw. Maybelline nur auf die Zielgruppe der Frauen fokussiert.
Es geht hierbei aber weiter. Eine Marke wie Nivea brachte vor einigen Jahren ihr Hit-Produkt „Nivea Creme“ nun auch für Männer raus. Als müsste man Männer nochmal deutlich darauf hinweisen, dass auch sie die Creme nutzen dürfen.
Nein, das ist bestimmt nicht der Grund. Der Grund ist das sogenannte Targeting mit Verwendung von Begriffen, die die Zielgruppe zur Umschreibung seiner selbst nutzt.
Männer bezeichnen sich als Mann, Männer oder Men.
Sportler fühlen sich von Begriffen wie Sport, Sports oder Active angesprochen.
Frauen fühlen sich von Girl, Women oder auch Beauty angesprochen.
Also ist die Frage: Welche Begriffe beschreiben mich als Teil der Zielgruppe („Ich bin ein Mann, also greife ich zu Produkte, die extra für den Mann entwickelt wurden“) oder welche Ziele werden kommuniziert, die ich auch verfolge („Beauty“ oder „Active“)? Herunterbrechen lässt sich dies auf „Was bin ich?“ und „Wo will ich hin?“.
Gibt es nun ein und dasselbe Produkt mit zwei Brandings für zwei Zielgruppe? Ja und nein. Oft unterscheiden sich die Zwillingsprodukte durch andere Inhaltsstoffe. Das sollte auch so sein, da solch ein vermeintlicher Unterschied, angedeutet durch Verpackung und Wording, schnell auffällt und als Täuschung enttarnt wird. Dank des Internets spräche sich so etwas schnell rum. Auch Coca-Cola Light und Coca-Cola Zero haben leichte Unterschiede in der Zusammensetzung – und richten sich an Frauen bzw. Männer.
Coca-Cola Light und Zero sind übrigens gute Beispiele für Produkte, die anhand impliziter Codes ihre Zielgruppen eingrenzen und genau ansprechen. Light durch Werbespots mit oberkörperfreien Männern und lechzenden Frauen richtet sich an selbige. Und Zero mit einem mutigen und selbstbewussten Bubi in der Werbung richtet sich an Männer. Hier sind die Codes Bilder. Und sie wirken.
Produkte für Männer und Frauen können unterschiedlich viel kosten
Dass ist mit dem Produkt-Gendern gutes Geld verdienen lässt, belegt eindrucksvoll ein genauerer Blick auf den Hygienebereich. Gerade hier ist zu erkennen, dass sich das sogenannte Gender-Pricing wirtschaftlich lohnt. So ist der Balea Rasierschaum „für Frauen“ bei dm im Grundpreis teurer als der Balea Rasierschaum „für Männer“. Natürlich, würden nun die Verantwortlichen sagen, unterscheiden sich die Inhaltsstoffe, was einen höheren Preis mit sich bringe.
Anders sieht es überraschenderweise bei Rasierklingen aus. Im Grundpreis sind die Balea Klingen „für Frauen“ günstiger als die Balea Klingen „für Männer“.
Für Hygieneprodukte gilt: Die Preiselastizität der Männer ist tendenziell höher als die der Frauen. Somit sinkt bei Männern die Nachfrage nach einer Preiserhöhung stärker als bei Frauen. Frauen haben tendenziell eine höhere Zahlungsbereitschaft, wenn es um Hygieneprodukte geht.
Bei Hygieneprodukten mag der Unterschied im Produkt und vielleicht auch im Preis noch nachvollziehbar sein. Im Bereich von Schokolade wird es aber kurios. Das „Rosa-Ei“ von Kinder Überraschung ist hierfür ein Beleg. Und eben diese Süßigkeit mit Spielzeugfigur schließt den Kreis. Aktuell ist das Rosa-Ei bestückt mit Figuren der Trickserie Powerpuff Girls – Zeilgruppe: junge Mädchen. Einige Kinder sehen also Videos, in denen eindeutig männliche und eindeutig weibliche Geschlechterrollen verkörpert und Klischees erfüllen werden. Dass diese im heranwachsenden Alter in ihren Köpfen hängen bleiben, erklärt sich von selbst. Es gibt massenweise Kinderbücher, -serien und -filme, in denen beispielsweise eine Frau für den Haushalt verantwortlich ist und der Mann die Finanzen im Blick hat. Dass unserer Welt in diese Geschlechterrollen eingeteilt ist, erlernen Kinder frühzeitig. Nach Christian Scheier und Dirk Held ist dieser implizite Lernprozess im Alter von sieben Jahren abgeschlossen und prägt ein Leben lang. Und Marketingstrategien brauchen nur noch daran kognitiv anzudocken.
Und wie verhält sich nun die Gleichansprache von Männern und Frauen im Marketing? Die verhält sich so, wie die Kunden es wünschen. Sie kaufen Produkte lieber und häufiger, die sie klar ansprechen, als Produkte, die keine klare, fokussierte Ansprache aufweisen.
Zu guter Letzt sollte es aber nicht übertrieben werden. Eine eher bieder angehauchte Marken wie Opel sollten nicht versuchten, sich mit einem verspielten Auto an die weibliche Zielgruppe heranzurobben. Es wird trotzdem getan, was anhand der Durchlöcherung der Sendung Germany’s Next Topmodel mit Platzierungen des Autos Opel Adam zu sehen ist.